Ein Plädoyer für eine Verbindung von Aktivismus und Spiritualität (2003)
Von Starhawk (Übersetzung von Christel Boente und Brigitte Hummel)
Kein Mensch mit gesundem Menschenverstand möchte wirklich politische Aktivistin oder politischer Aktivist sein. Wenn Aktivismus aufregend ist, gehen wir das Risiko ein körperlichen Schaden zu nehmen oder eingesperrt zu werden; wenn er aber keine Gefahren in sich birgt, ist er oft ermüdend, uninteressant und langweilig.
Als Aktivistinnen kommen wir in Kontakt mit äußerst unangenehmen Menschen: PressevertreterInnen, Sicherheitskräften oder hin und wieder auch unseren eigenen Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Und das ist nicht alles: Aktivismus kann auch zu enormem Frust und ungeheurer Wut führen, das viele Schreien verursacht Heiserkeit, das viele Laufen Schmerzen in den Beinen.
Trotz allem sind wir in diesem Augenblick der Geschichte dazu aufgerufen so zu handeln als ob wir wirklich glaubten, dass die Erde ein lebendiges, bewusstes Wesen sei, und wir ein Teil von ihr, dass die Menschen eng miteinander verbunden sind und kostbar, und dass Freiheit und Gerechtigkeit für alle ein erstrebenswertes Gut darstellen.
Als wir vor zwei Jahrzehnten „Reclaiming“ aufgebaut haben, war es unsere Absicht das Spirituelle und das Politische zusammen zu bringen. Oder, um genauer zu sein: ein paar von uns, für die das Spirituelle und das Politische untrennbar verbunden waren, wollten eine Praxis und eine Gemeinschaft gründen, die diese Verbindung widerspiegelten.
In einer Zeit, da die Bush-Armeen einen Aggressionskrieg führen, da gewaltige Probleme die Umwelt und die Gesellschaft betreffend ignoriert werden, ist Aktivismus notwendiger denn je. Nie stand mehr auf dem Spiel, nie war Handeln dringlicher als jetzt.
(Mitglieder von Reclaiming waren immer unterwegs, haben an Märschen und Demonstrationen von Seattle bis Washington D.C. teilgenommen, brachten Magie und Rituale in Bereiche ein, die manchmal einem Schlachtfeld nicht unähnlich waren. Und sie leisten über den Protest hinaus dringend notwendige Arbeit: sie helfen bei der Organisation unserer Gemeinschaften, sorgen für Heilung, Nahrung, Zuwendung für unsere Kinder, für Musik, Kunst und Rituale – für all das, was für die Welt steht, in der wir leben wollen.)
Die Verbindung von Magie und Aktivismus zeigt sich manchmal darin, dass wir Magie zu einem Teil politischer Aktionen machen. Ich denke dabei an einen Spiraltanz inmitten der Schwaden von Tränengas in Quebec oder in der Grand Central Station (=Bahnhof in New York) umgeben von Sicherheitskräften. Magie kann sich auch darin zeigen, dass wir unsere strategische Planung mit einer TRANCE oder dem Interpretieren von Tarotkarten beginnen, oder dass wir die Kräfte des Wassers anrufen, wenn wir gegen die Privatisierung von Wasservorräten protestieren.
Diese Verbindung bedeutet aber auch, dass unsere Rituale von unserem Aktivismus inspiriert werden und von den ganz realen Problemen, die wir angehen wollen. Ihr liegt eine andere Auffassung von Spiritualität zugrunde, nämlich die, dass Spiritualität und Ritual nicht etwas Abgehobenes sind, sondern ein Teil der Welt, in der wir leben.
Reclaiming gründet sich auf eine bodenständige Spiritualität, die die Trennung zwischen Geist und Materie verneint und die Natur und die physische, materielle Welt für genauso unantastbar hält wie die Welt des Geistes.