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Ein Plädoyer für eine Verbindung von Aktivismus und Spiritualität (2003)

Eine weitere weitverbreitete, unausgesprochene Annahme ist, dass Spiritualität mit Ruhe und Frieden zu tun habe, und dass der Konflikt unspirituell sei. Wenn wir das glauben, fällt es uns natürlich schwer das Spirituelle mit dem Politischen zu verbinden, wo der Konflikt eine wesentliche Rolle spielt.

In New-Age-Kreisen gibt es den beliebten Spruch: „What you resist, persists.“ (= Das, woran man sich reibt, bleibt.“). Wahrhaft spirituelle Menschen dürfen niemals konfrontieren oder opponieren, das würde einen unhinterfragten „wir-sie“ Dualismus verewigen.

Ich weiß nicht, aus welcher spirituellen Tradition sich dieser Spruch herleitet, aber ich habe oft das Bedürfnis, diejenigen, die ihn ständig im Mund führen, zu fragen: „Wo ist euer Beweis?“ Wo es doch so völlig offensichtlich ist, dass das, wogegen wir uns nicht wehren, so lange bleiben wird wie die Hölle und sich überall hin ausbreiten wird. Guter, starker, solider Widerstand kann tatsächlich das Einzige sein, das zwischen uns und der Hölle steht. Hitler blieb nicht an der Macht wegen des Widerstands, er konnte sich Deutschland unterwerfen und Millionen Menschen ermorden, weil es nicht genug Widerstand gab.

Auf einer tieferen kosmischen Ebene sind wir alle eins, und wir alle besitzen in unserem Inneren das Potential für das Gute und für Zerstörung, für Mitgefühl und Hass, für Großzügigkeit und Gier. Aber selbst wenn ich die ganze Breite der Impulse in mir kenne, löscht das nicht die Unterschiede aus zwischen einem Menschen, der aus Mitgefühl und Liebe heraus handelt, und einem, der sich dafür entscheidet aus dem Gefühl des Hasses und der Gier heraus zu handeln. Außerdem befreit mich diese Erkenntnis nicht von der Verantwortung ein System herauszufordern, das Hass und Begierde fördert. Wenn ich einem solchen System nicht Widerstand leiste, bin ich sein Komplize. Dann schließe ich mich den Tätern an und unterdrücke mit ihnen die Opfer.

Ich wundere mich oft über wohlmeinende, spirituelle Menschen, die dafür eintreten das Licht der Liebe auf politische Führer zu lenken, die Aktivist/innen beschimpfen, weil sie ihrem Ärger über Autoritäten und Polizei Ausdruck geben. Für diese wohlmeinenden Menschen ist Mitgefühl gleichbedeutend mit Liebe zum Feind, dabei vergessen sie oft ihre Freunde zu lieben, ihre Mitstreiter/innen und diejenigen, die unter den Tätern leiden. Ich fühle mich wirklich nicht besonders berufen das Licht der Liebe auf Bush oder Cheney zu lenken oder auf die Direktoren des International Monetary Fund. Ob diese nun unter einem Mangel an Liebe leiden oder nicht, weiß ich nicht. Aus meiner Sicht leiden sie unter einem Übermaß an Macht, und ich fühle mich dazu berufen ihnen genau diese zu nehmen. Gerade weil ich das Kind im Irak liebe, die Frau in der Favela, den 18 jährigen Rekruten bei den Marines (= amerikanische Eliteeinheit), der sich niemals hätte träumen lassen, dass er sich gemeldet hat, um Zivilisten zu töten. Ich kann sie nicht wahrhaft lieben, auch mich nicht und meine Gemeinschaft, wenn ich nicht die wirklichen Interessenunterschiede zwischen “uns“ und „ihnen“ artikulieren kann, zwischen denen mit zu wenig und denen mit zu viel Macht in der Gesellschaft.

Diese Macht gerechter zu verteilen, bedeutet ein übermächtiges System zu verändern. Und Systeme ändern sich nicht so leicht. Systeme versuchen sich zu erhalten und suchen ein Gleichgewicht. Ein System zu verändern heißt es aufzubrechen, das Gleichgewicht zu stören. Dazu bedarf es immer wieder des Konfliktes.

Für mich ist der Konflikt ein zutiefst spiritueller Ort. Er ist der Platz höchster Energie, wo Macht auf Macht trifft, wo Wandel und Transformation geschehen können.

Teil meiner Spiritualität ist, dass ich mich ganz bewusst an konfliktträchtige Orte begebe. Einer aus dem Pagan Cluster sagte nach der Antikriegskundgebung vom 15. Februar (2003) in New York: „Während alle anderen dem Konflikt davongelaufen sind, haben wir uns ihm gestellt.“ Ich stelle mich, weil ich glaube, dass ich von Nutzen sein kann. Manchmal dadurch, dass ich drohende Gewalt deeskalieren helfe, manchmal dadurch , dass ich inmitten des Chaos einen kühlen Kopf bewahre, manchmal einfach als Zeugin des Geschehens.

Unsere magischen Mittel und Einsichten, unser Bewusstsein von Energien und Mitstreiter/innen auf vielen Ebenen können unseren Aktivismus vertiefen und inspirieren. Und unser Aktivismus kann unsere Magie beeinflussen, indem er uns dazu ermutigt ein Ritual zu schaffen, das die wirklichen Herausforderungen anspricht, denen wir uns in der Welt gegenüber sehen, das die Heilung und die Erneuerung geschehen lässt, die wir brauchen, um unsere Arbeit fortzusetzen, und das eine Gemeinschaft schafft, die versteht, dass Geist und Aktion eins sind.

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