Interview mit Starhawk (2000)
Christel: Kannst Du mir etwas über die Heidenszene in der Stadt/dem Land erzählen, in dem Du lebst?
Starhawk: Da, wo ich lebe, in San Francisco, gibt es eine riesige heidnische Gemeinschaft, es gibt viele verschiedene heidnische Gruppen und Organisationen, es ist möglich zwischen vielen verschiedenen Ritualen zu jedem Fest auszuwählen. Es gibt viele verschiedene Organisationen, denen Du angehören kannst, und alles in allem würde ich sagen, dass wir wirklich ziemlich gut zusammenarbeiten. Es gibt Zeiten zu bestimmten Festen oder Gelegenheiten, da kommen Leute von verschiedenen Gruppen zusammen, andere Zeiten, wenn wir vor allem mit unseren eigenen Dingen beschäftigt sind. Es gab eine Zeit, da ich sowohl an einem Reclaiming Ritual als auch an Ritualen anderer Traditionen teilgenommen habe. Jetzt ist mir ein Ritual gewöhnlich genug.
Ich verbringe außerdem eine Menge Zeit auf dem Land, ungefähr zwei Stunden nördlich von San Francisco, in einer wunderbaren Gegend, wohin sich viele Leute vor zwanzig Jahren zurückgezogen haben, und es ist einer von den wenigen Plätzen auf der Welt, wo es normal ist Heide oder Heidin zu sein. Die meisten Menschen hier sind Heid/innen oder sympathisieren zumindest damit. Sie sind nicht alle Heid/innen und sie sind nicht alle Teil einer Organisation, aber sie sind sehr offen, und weil sie draußen auf dem Land leben, haben sie eine tiefe Verbindung mit der Natur. Und ich glaube oft, dass das in der Stadt nicht so ist. Viele von ihnen nennen sich Heid/innen ohne notwendigerweise zu einer heidnischen Gruppe zu gehören.
Christel: Im Heidentum gibt es alle möglichen Gemeinschaften. Welche Tradition hast Du gewählt, und warum? Welche Richtung oder Gruppe würdest Du einer Person empfehlen, die ihren spirituellen Weg beginnt? Welche Hilfe würdest du Menschen geben, damit sie ihren Weg in dieser Vielzahl unterschiedlichster Gruppen finden?
Starhawk: Die Tradition, der ich angehöre heißt Reclaiming und wir gründeten unser Kollektiv in den späten 70er oder frühen 80er Jahren. Wir begannen als eine Gruppe von Leuten, die unsere heidnische Spiritualität mit unserem politischen Aktivismus und mit unserer persönlichen Heilung, die Menschen brauchen um wirkungsvoll Magie auszuüben, verbinden wollte. Es gab eine Reihe von großen Projekten, die wir zusammen planten lange bevor wir sie wirklich anpackten.
Wir veranstalteten ein großes Ritual, als 1979 mein erstes Buch herausgegeben wurde, wir nannten es das Spiraltanz-Ritual und wir feierten es zu Hallowen. Es war eines der ersten ganz großen öffentlichen Rituale, das von uns geleitet wurde. Es nahmen fünf- oder sechshundert Leute daran teil. Und im nächsten Frühjahr hatten viele von uns, die daran teilgenommen hatten, die Inspiration am Jahrestag von Three-Mile-Island einen politischen Marsch gegen Atom-Energie zu organisieren, an dem wir Ritual, Theater und Kunst einbeziehen konnten. Einige von uns begannen die ‚Elemente der Magie’ zu lehren mit dem Gedanken, dass wir innerhalb von etwa 6 Wochen Menschen beibringen würden ihre eigenen Rituale zu erschaffen. Der Kurs war so erfolgreich, dass alle weitermachen wollten und so mussten wir Fortgeschrittenenkurse anbieten, und nachdem wir das zwei- oder dreimal gemacht hatten, baten wir einige der TeilnehmerInnen uns zu helfen.
Wir gründeten eine Gruppe und dann, 1981, nahmen viele von uns an einer Blockade eines Atommeilers in Zentral-Kalifornien teil, der ‚Diabolo Canyon’ genannt wurde. Er war auf erdbebengefährdetem Gebiet gebaut und dort brachten wir wirklich Ritual und politischen Aktivismus zusammen. Wir lernten in einem ungeheuren Maß von den dortigen Organisator/innen, wir lernten Konsensentscheidungen zu treffen und sie in die Tat umzusetzen, und wir kamen zurück und bildeten das Kollektiv und über die Jahre wuchs dieses Kollektiv und wir begannen mehr zu lehren. Wir begannen Intensivkurse über Californiens Grenzen hinaus, die wir ‘Witch-Camps’ nannten, einwöchige Camps an den unterschiedlichsten Orten. Gemeinschaften entwickelten sich, wir lehrten Leute in ihren eigenen Gemeinschaften zu lehren und eines Tages wachten wir auf und beschlossen: ‚Nun, das hier ist kein Kollektiv, dies ist was es ist, was wir sind, vermutlich sind wir eine Tradition.’ Und wir mussten unsere Prinzipien der Ganzheit formulieren um wirklich die Werte der Verbindung von Magie, politischem Aktivismus und Heilen in nichthierarchischer, feministischer Tradition, die wir rein gefühlsmäßig gefunden hatten, zu erklären.
Mein Ratschlag an Menschen, wie sie wirklich ihren eigenen Weg zwischen den verschiedenen Traditionen und verschiedenen Covens finden können ist, sich von dem leiten zu lassen, was sich für sie selbst richtig anfühlt. Du solltest niemals mit einer Gruppe arbeiten, in der Du Dich nicht wohlfühlst, in der du dich fühlst als würdest du gezwungen für etwas zu sein, das deinen ethische Vorstellungen entgegen steht. Keine wirklich ethische Gruppe wird das von dir verlangen. Und es gibt eine Menge anderer Bereiche wo es wirklich ausschließlich um persönliche Vorlieben geht. Viele Leute mögen Reclaiming wegen der nichthierarchischen Haltung. Aber es gibt auch Leute, die wirklich besser in einer mehr durchstrukturierten Gruppe arbeiten, in der es eine/n Leiter/in gibt, eine Person, die wirklich etwas beibringen kann. Auch dafür kann es die richtige Zeit und den richtigen Ort geben. Manchmal kannst Du in solch einer Gruppe etwas lernen und später möchtest Du dann vielleicht irgendwo hingehen wo es weniger strukturiert ist.