Pages Navigation Menu

Trolle in Stein verwandeln

Pädagog/innen sprechen vom „belehrbaren Augenblick“, von dem Moment, in welchem ein teilnahmsloser und gelangweilter Lernender plötzlich eifrig und lernbereit wird. Die Menschen werden dann belehrbar, wenn ihnen ihr Informationsbedarf bewusst wird.

Darin besteht einer der Hauptzwecke des Protestes: so viel Aufregung, Dringlichkeit und Dramatik um ein Thema herum zu erzeugen, dass auch Menschen, die es vorher abgeschaltet haben, sich plötzlich zur Aufmerksamkeit gedrängt fühlen.

Menschen werden aber auch durch Angst beeinflusst. Wir mögen das System hassen, aber wir sind auch davon abhängig. Was wird uns zustoßen, wenn wir dagegen handeln? Wie können wir denen vertrauen, die uns zum Handeln drängen oder die daran glauben, dass ihre Vorschläge zum Besseren führen werden?

Die Menschen arbeiten deshalb mit dem System zusammen, weil sie keine Alternative sehen oder glauben, keine Wahl zu haben. Kontrollmechanismen arbeiten immer damit, dass sie unsere Wahrnehmung unserer Wahlmöglichkeiten begrenzen.

Die Herausforderung an uns als Bewegung besteht darin, dem derzeitigen System die Legitimation zu entziehen, einen größeren Rahmen an Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten aufzuzeigen und den Leuten die innere Kraft dazu zu geben, sich gegen das System zu stellen und eine alternative Vision ins Auge zu fassen.

Wir sind recht gut darin gewesen, Schlaglichter zu werfen, Dramatik zu schaffen und das System zu delegitimatisieren. In den zweieinhalb Jahren seit Seattle haben wir vermocht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf viele Institutionen der Konzern-Globalisierung zu lenken, den Diskussionen eine neue Richtung zu geben und die bis dahin unhinterfragte Akzeptanz dieser Politik zu stören.

Wir waren aber weniger erfolgreich darin, eine klare Alternativ-Vision aufzubauen und öffentliches Vertrauen in eine solche zu schaffen.

Vertrauen bildet sich natürlich erst im Laufe der Zeit. Die globale Gerechtigkeitsbewegung zentriert sich nicht auf charismatische Führer/innen oder bestehende Institutionen, die dem Vertrauen ein Gesicht geben könnten. Es handelt sich vielmehr um eine amorphe, sich stets entwickelnde, sich selbst organisierende Masse. Wenn aber die in der Bewegung engagierten Leute ihre Zeit, Aufmerksamkeit und Fertigkeiten als Organisator/innen auch in lokale Themen und Organisationen vor Ort einbringen ebenso wie in die Aktionen bei den großen Gipfeln, dann kann ein solches Vertrauen wachsen.

Vertrauen muss aber aus einer Vision hervorgehen. Und ich glaube, dass wir tatsächlich eine klare Alternative zur Ideologie des globalisierten Kapitalismus der Konzerne zu bieten haben: Wir stehen für Demokratie, Gemeinschaft und echten Wohlstand.

Demokratie bedeutet, dass die Menschen eine Stimme in den Entscheidungen haben, von denen sie betroffen sind, einschließlich der wirtschaftlichen. Demokratie erfordert viel Zeit und öffentlichen Raum, gute Bildung und freien Zugang zu Informationen. Und Demokratie bedeutet, dass keine Gruppierung aufgrund ihrer Rasse, des Geschlechts, ihres sexuellen Lebensstiles, Alters, körperlicher Fähigkeiten oder anderer „ismen“ von der Macht ausgeschlossen werden kann.

Wir stehen für das Recht einer Gemeinschaft ein, über ihr eigenes Schicksal und ihre Ressourcen zu bestimmen, ob das nun Eingeborenengemeinschaften sind, die ihr Land und ihre Kultur erhalten möchten, oder eine Gemeinde, die ihr eigenes Krankenhaus erhalten will. Unternehmen und Geschäfte müssen in den Gemeinschaften wurzeln und ihnen auch verantwortlich sein.
Wir sagen, dass echter Wohlstand darin besteht, die lebenserhaltenden Systeme des Planeten zu schützen; dass es Dinge gibt, die zu kostbar sind, um sie käuflich zu machen um des Profits willen, von den alten Regenwäldern bis zum Wasser, von dem alles Leben abhängt. Wohlstand entsteht nicht durch das Ansammeln und Konzentrieren von Reichtümern, sondern durch die breitest mögliche Verteilung. Wahrer Wohlstand bedeutet Sicherheit, und diese kann nur aus dem Begreifen dessen entstehen, dass wir alle eine gemeinsame Verantwortung für einander haben, uns durch schwere Zeiten hindurch zu helfen und uns in Missgeschicken zu unterstützen.

Und wir sagen auch, dass Demokratie, Gemeinschaft und wirklicher Wohlstand das beste Gegenmittel gegen die Verzweiflung sind, aus welcher Terrorismus wächst, und das beste Mittel, um unsere globale Sicherheit zu garantieren.

Wenn wir über Aktionen und Taktiken nachdenken, dann müssen wir überlegen, wie diese in unsere langfristigen Strategien passen. Wir müssen genug Krawall schlagen, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu wecken, dabei aber darauf achten, dass wir dadurch nicht uns selbst, sondern dem System die Legitimation entziehen. Unterschiedliche Taktiken und Aktionen dienen verschiedenen Zielen: Sichere, legale Proteste haben einen wichtigen Zweck: Sie mobilisieren diejenigen, die vor anderen Aktionen Angst hätten. Sie bieten den Menschen eine Möglichkeit, ihre Angst zu überwinden, ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben, sich auszudrücken, und auch unsere Vision zu erfassen und Vertrauen aufzubauen.

Direkte Aktionen, die die unterdrückende Macht unmittelbar konfrontieren, die unsere Zustimmung zum System aktiv aufkündigen, die Dramatik und Dringlichkeit erzeugen, machen oft die dem System innewohnende Gewalt sichtbar. Die von mir gewöhnlich bevorzugte Taktik besteht aus gewaltfreien direkten Aktionen, weil diese es uns ermöglichen, gleichzeitig Dringlichkeit und auch Vertrauen zu erzeugen. Gewaltfreie Aktionen können ganz offen geplant werden und mobilisieren mehr Menschen, wobei sie die Leute ermutigen, ihre Angst zu überwinden und größere Risiken einzugehen.

Die kraftvollsten Aktionen sind diejenigen, in welchen wir Konfrontationen herbeiführen, die auch unsere Vision verkörpern. Wenn wir die Alternativen leben, in unserem Organisieren, im Bilden unserer Koalitionen, in unserem Alltag, in unserem Mut zum Handeln, dann werden wir zu dem Sonnenlicht, das die Trolle zu versteinern vermag.

Copyright (c) 2002 by Starhawk. Alle Rechte vorbehalten. Das Copyright schützt Starhawk´s Rechte an weiterer Publikation ihrer Arbeit. Gemeinnützige, Aktivisten- und Bildungs-Gruppen dürfen diese Aufsätze unentgeldlich kursieren lassen (schickt sie weiter, kopiert sie, übersetzt sie). Bitte ändert nichts ohne Genehmigung.

Ihr seid eingeladen, weiteres auf der Website www.starhawk.org. zu lesen.

Übersetzung: Jörg Wichmann

 

Zurück

Seiten: 1 2