Symbole der Magie
Magie ist die Kunst der Hexen, und nur wenige Dinge sind so faszinierend und erschreckend und werden gleichzeitig so missverstanden. Magie treiben bedeutet, die unsichtbaren Kräfte in Form zu verweben, hinter das Sichtbare zu schweben, die unerschlossene Traumwelt der verborgenen Wirklichkeit zu erforschen; das Leben mit Farbe, Bewegung und fremden berauschenden Düften zu erfüllen; sich jenseits der Imagination in den Raum zwischen den Welten zu begeben, wo die Fantasie wirklich wird; gleichzeitig animalisch und göttlich zu sein. Magie ist die Kunst der Gestaltung – weise, erregend, gefährlich, das spannendste Abenteuer.
Die Macht der Magie darf nicht unterschätzt werden. Sie wirkt oft auf unerwartete und schwer kontrollierbare Weise. Allerdings sollte die Kraft der Magie auch keineswegs überschätzt werden. Sie wirkt nicht ohne weiteres und mühelos, sie verleiht auch keine Allmacht.
Die Anwendung der Magie zu erlernen ist ein Prozess der neurologischen Umprägung, eine Veränderung der Art und Weise, in der wir unser Gehirn benutzen. Das Gleiche geschieht, wenn man Klavier spielen lernt – bei beiden Prozessen findet eine Bahnung neuer Nervenleitwege statt, beide erfordern Übung und Beharrlichkeit, und beide können, wenn man sie beherrscht, emotionale und spirituelle Wege zu großer Schönheit eröffnen. Magie erfordert zunächst die Entwicklung und dann die Integration der räumlichen, intuitiven, ganzheitlichen, gestaltenden Wahrnehmungsweise der rechten Gehirnhälfte. Sie öffnet die Tore zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten. Dadurch beeinflusst sie zutiefst die Entwicklung, die Kreativität und die Persönlichkeit eines Menschen.
Magie ist Kunst – das heißt, sie hat mit Formen, Strukturen, mit Bildern zu tun, die uns aus den durch unsere Kultur auferlegten Begrenzungen in einer Weise hinausschieben können, wie das Worte allein nicht können, hat mit Visionen zu tun, die die Möglichkeit von Erfüllung andeuten, die die leere Welt nicht anbietet.
Ein Zauber ist eine symbolische Handlung, die in verändertem Bewusstseinszustand vorgenommen wird, um eine gewünschte Veränderung zu bewirken. Einen Zauber zu wirken bedeutet, Energie durch ein Symbol zu projizieren. Doch die Symbole werden zu oft mit dem eigentlichen Zauber verwechselt. „Lass eine grüne Kerze brennen, um Geld anzulocken“, heißt es. Die Kerze selbst aber bewirkt gar nichts – sie ist nur eine Linse, ein Brennpunkt, eine Gedächtnishilfe oder das „Ding“, das unsere Idee verkörpert. Hilfsmittel können nützlich sein, aber erst der Geist bewirkt die Magie.
Manche Gegenstände, Formen, Farben, Gerüche oder Bilder eignen sich besser als andere, um bestimmte Ideen zu verkörpern. Korrespondenzen zwischen Farben, Planeten, Metallen, Zahlen, Pflanzen und Steinen bilden zusammen ein großes Arsenal an magischem Wissen. Die wirksamsten Zauber sind jedoch häufig aus Dingen improvisiert, die man als richtig empfindet oder die man zufällig zur Hand hat.
Wer Magie ausüben möchte, muss in seinem Leben absolut aufrichtig sein. In gewissem Sinn beruht Magie auf dem Grundsatz „Es ist so, weil ich sage, dass es so ist“ […] Damit mein Wort eine derartige Kraft erhält, muss ich zutiefst und vollkommen überzeugt sein, dass es der Wahrheit entspricht, wie ich es sehe. Wenn ich meinen Nächsten gewohnheitsmäßig belüge oder meinen Chef bestehle, fehlt mir diese Überzeugung. Wenn ich nicht genügend Charakterstärke besitze, meinen Verpflichtungen im Alltag nachzukommen, werde ich unfähig sein, magische Kraft zu bewegen. Um Magie zu praktizieren, brauche ich einen unerschütterlichen Glauben in meine Fähigkeiten, Dinge zu tun und zu bewirken, dass Dinge geschehen. Dieser Glaube wird durch meine täglichen Handlungen erzeugt und genährt.
Energie folgt dem Weg des geringsten Widerstands. Materielle Ergebnisse werden leichter durch konkrete Handlungen erzielt als durch magische Praktiken. Es ist einfacher, die Tür abzusperren, als die Wohnung mit psychischen Siegeln zu schützen. Ein Zauber gegen Arbeitslosigkeit ist nutzlos, wenn man nicht auch hinausgeht und einen Job sucht.
Die Visualisierung, die wir beim Zauber erschaffen, soll den gewünschten Ausgang zeigen – nicht unbedingt die Mittel, durch die man dahin gelangt. Wir konzentrieren uns auf ein Ziel, ohne zu versuchen, jede Bewegung zu zeichnen, die wir auf dem Weg dahin machen werden. Magie darf nie angewandt werden, um Macht über andere zu gewinnen – sie soll dazu beitragen, „Kraft aus dem Inneren“ zu entwickeln.
Autorin: Starhawk, Die Kraft der Großen Göttin, Bauer 1999, ISBN 3-7626-0745-1, S. 95-101, mit freundlicher Genehmigung von Ulla Schuler (Übersetzung)