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Heute vor vier Jahren

16. März 2007
von Starhawk
Übersetzung: Christel Boente
Heute vor vier Jahren hielt ich mich in Nablus auf, in den besetzten Gebieten Palästinas. Als Freiwillige war ich beim ‚International Solidarity Movement’ (der internationalen Solidaritätsbewegung – abgek. ‚ISM’ – d.Ü.), die den gewaltfreien Widerstand der Palästinenser unterstützt. Außerdem half ich meiner Freundin Neta Golan, eine israelische Frau und eine der Gründerinnen des ISM, die damals hochschwanger war. Sie ist mit einem Palästinenser verheiratet. Ich hatte einen seltsam idyllischen Tag in einem kleinen Dorf außerhalb von Nabus verbracht, wo sich eine Gruppe von UnterstützerInnen aufhielt. Wir hatten die Nachricht bekommen, dass die israelische Armee dort ständig die Dorfbewohner belästigte. Als wir ankamen, war die Armee bereits abgezogen, Alpenveilchen und blutrote Anemonen standen unter uralten Olivenbäumen in voller Blüte und die Einwohner bestanden darauf, dass wir zu einer Grillparty blieben.
Gerade als wir auf unserem Weg zurück nach Nablus den Kontrollpunkt passierten erreichte uns ein Anruf aus Rafah im Gazastreifen. Rachel Corrie, eine junge Freiwillige beim ISM hatte versucht einen israelischen Bulldozer davon abzuhalten ein Haus nahe der Grenze niederzureißen. Der Fahrer des Bulldozers sah sie, gab einfach Gas und zermalmte sie.
Rachels Tod war ein kleiner Ausblick auf die entsetzliche Gewalt, die die Vereinigten Staaten drei Tage später mit dem Einmarsch in den Irak entfesselten. In Nablus waren wir auf einen möglichen Einmarsch der Israelis gefasst als der Krieg begann. Ich arbeitete mit einem anderen Freiwilligen, Brian Avery, zusammen um die Gruppe zu koordinieren, die einen Zeugen der Menschenrechtsgruppe im Balata Flüchtlingslager am Rande von Nablus unterstützen sollte. Ich wünschte zutiefst, dass bei Neta nicht gerade dann die Wehen einsetzen würden während die ganze Stadt unter Belagerung stand, wir kein Krankenhaus erreichen konnten und ich auf die wenigen Hebammenkenntnisse zurückzugreifen hätte, die ich besitze. Vielleicht wünschte ich mir das sehr stark – es zeigte sich kein Anzeichen für den Beginn der Geburt und letztendlich schickte sie mich in einem Akt der Selbstlosigkeit runter nach Rafah um der Gruppe zu helfen, die dort mit Rachel zusammen gewesen war. Ich bot den Freiwilligen soviel Trost wie möglich an da sie so jung waren, dass sie bisher noch nie die Erfahrung machen mussten, dass jemand starb, der ihnen nahe war.

Es war ein seltsames Frühjahr. Ich kehrte nach Nablus zurück um Netas Geburt zu unterstützen, aber dieses frohe Ereignisses stand unter dem Einfluss des Grauens, da Brian vom israelischen Militär in Jenin bei einem Überfall auf die Freiwilligen ins Gesicht geschossen worden war. Die ganze Zeit während der Geburt beobachteten die Krankenschwestern (ja, Göttin sei dank, waren wir im Krankenhaus) den Sender Al Jazeerah, der Szenen der Bombardierung des Iraks durch die Vereinigten Staaten zeigte. Ich schaltete es ab. Selbst in einer Zeit des Krieges wollte ich, dass ihr Kind auf einer kleinen Insel des Friedens geboren würde.
Wieder ging ich zur Unterstützung der Gruppe, der Brian angehörte nach Jenin und dann nach Haifa um ihn zu besuchen während er auf seine Operation warten musste. Ich verbrachte die nächsten Wochen mit maßloser Reiserei, oft allein, durch das Stück Erde, das am schwersten zu bereisen ist, dort wo die Kontrollpunkte jede Reiseroute verstümmeln. Die Olivenbäume bekamen Blätter, die Mandelbäume setzten flaumige grüne Schoten an, die die Palästinenser jung essen – der Geschmack zitronig, scharf und beißend, wie der Augenblick.
Ich besuchte die israelischen ‚Women in Black’ (eine israelische Gruppe von Frauen, die gewaltlosen Widerstand praktizieren – d.Ü.) in Jerusalem und trainierte ISM-Freiwillige in Beit Sahour. Ein junger britischer Helfer, Tom Hurndall, ging direkt nach dem Training nach Rafah. Als er an der Grenze entlang ging wo Rachel getötet worden war, sah er eine Gruppe von Kindern unter Beschuss von einem Turm israelischer Scharfschützen. Er rannte durch den Geschosshagel, brachte einen der Jungen in Sicherheit und kehrte zurück um den nächsten zu holen. Der Scharfschütze nahm ihn ins Visier und schoss ihm in den Kopf.
Ich kehrte nach Rafah zurück, die unwirkliche Stadt aus Schotter und Stacheldraht, reifer Orangen und Einschusslöchern, um die Gruppe zu unterstützen der Tom angehört hatte. Überall wo ich hinkam schien die Sonne, die Blumen blühten und die Armee schien hinweg zu schmelzen, als ob ich einen magischen Schutzkreis trüge. Ich war eine Zeugin des Todes, eine Unterstützung des Kummers ohne an dem brennenden persönlichen Schmerz zu leiden, der mit dem Verlust eines Kindes, eines Elternteils oder eines/einer Geliebten einhergeht. Mein eigener Schmerz kam später als ich zuhause in Sicherheit war und wochenlang weinte.

Ich weine jetzt, jedes Frühjahr hier in Kalifornien, wenn die Narzissen blühen und die Pflaumenbäume. Die Schönheit des Frühlings wird für mich immer gefärbt sein – mit dem Kummer, dem Wunder und dem Grauen dieser Zeit: Nata, schwitzend in den Wehen während die Nachrichten die Bilder des Krieges zeigen, Blut, das die Wildblumen in tiefes Rot verfärben.

Ich weine und dann werde ich wütend. Vier Jahre sind seitdem vergangen und das Töten geht immer noch weiter – in Palästina, im Irak und wenn Bush seinen Weg beibehält, im Iran. Geister spuken auf den grünen Hügeln, sie schimmern wie heiße Wogen unter einer unnatürlich heißen Sonne: all die unzähligen Toten dieses ungewollten Krieges, alle diejenigen die immer noch daran sterben werden.
Ich habe einen Garten zu bepflanzen und tausend Dinge zu tun, die ich lieber täte, aber wieder einmal ist Frühling, und ich rüste mich zur Tat. Die Friedensmärsche sind langweilig geworden, ätzend und vorhersehbar. Um ganz ehrlich zu sein, ich hasse es in den Straßen herumzumarschieren und immer dieselben Schlachtrufe zu singen, die ich seit vierzig Jahren singe. Ich gehe, irgendwie. Ich bin so müde der ‘die-ins’ und ‘sit-ins’ (Aktionsformen von gewaltfreiem Widerstand bei Demonstrationen – d.Ü.) und vorhersehbaren Reden über die Lautsprecher, dass ich schreien könnte wenn ich nicht die weit schlimmeren Schreie der Sterbenden im Ohr hätte. Ich bin ebenso müde beim Versuch zu trommeln und zu singen und den Protest in einen schöpferischen Akt der Magie zu verwandeln. Es ist nicht schöpferisch – es ist ein verdammter Protest und ich habe echte schöpferische Arbeit zu tun: Bücher zu schreiben, Kurse zu geben und Rituale zu planen. Trotz allem – am kommenden Sonntag werde ich beim Friedensmarsch mittrotten, am Montag mich in einer Gruppe von Freundinnen und Freunden mit den nötigen Spruchbändern versehen in der Market-Street liegend wieder finden, in irgendeiner malerischen Haltung…

Warum? Damit ich mich selbst ohne Ausweichen im Spiegel anschauen und den hunderttausenden von Geistern antworten kann. Aber mehr als das, weil es Zeit wird, Freundinnen und Freunde! Die öffentliche Meinung hat sich geändert – jetzt müssen wir erreichen, dass unsere Sache wirkliche Bedeutung bekommt. Es wird Zeit die Demokraten zurück zu ihren Ausschüssen zu schicken damit sie sagen: „Zur Hölle, ich kann nicht in mein Büro kommen, die Flure sind blockiert und die Strassen sind mit Leuten voll gestopft, die alle wütend über den Krieg sind.“ Zeit die Republikaner zu ihren Fraktionssitzungen zu schicken wo sie still vor sich hin murmeln: „Wenn wir diese Katastrophe weiter unterstützen werden wir jeden Anschein der Stärke oder die allgemeine Zustimmung verlieren, die wir einmal besaßen.“ Zeit, den Rest der Welt wissen zu lassen, dass ein beträchtliches Maß der Menschen hier in den USA anderer Meinung ist. Zeit eine Bewegung so zu erneuern wie die Natur das Leben im Frühjahr erneuert, mit der wachsenden Energie, die allein unser mühsames Dahinstapfen in einen Tanz des Widerstandes verwandeln kann.

(Und auch Ihr kommt). Und auch ihr könnt etwas tun: Ihr könnt die langweiligen Reden übergehen und zynische Anmerkungen machen, aber bringt eure Beine auf die Straße (an diesem Wochenende), irgendwo. (Es sind tausende verschiedener Aktionen im ganzen Land geplant und wenn ihr nicht wisst wohin ihr gegen sollt schaut auf die Websites, die unten angegeben sind).

Tut es weil Hunderte von den Tausenden die im Augenblick noch leben dem Tode geweiht sind wenn dieser Krieg weitergeht und sich zum Iran hin entwickelt. Tut es wegen jeder duftenden Blüte und jeder Knospe aus der ein Blatt sprießt und uns zuruft das Leben zu schätzen und zu schützen.
www.starhawk.org

Starhawk’s Berichte über die Zeit in Palästina und andere findet ihr auf ihrer website unter:

http://www.starhawk.org/activism/activism-writings/activism-writings.html
Viele ihrer Berichte sind auch ins Deutsche übersetzt und folgender Website veröffentlicht:
http://www.homoeopathie-wichmann.de/Starhawk-deutsch/index.htm
zu Aktionen in München gibt es die Seite von Münchner Friedensbündnis:
http://www.muenchner-friedensbuendnis.de/

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