Farnblüte
Farnblüte, Jahrgang 1967, ist Energiearbeiterin. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und vier Katzen in Bovenden. Sie ist in Reclaiming initiiert und „steckt bis über beide Ohren in Feen“. Außerdem ist sie Kapalika Aghori. Sie lehrt die Magie des Selbst und energetische Heiltechniken. Mehr findet man auf ihrer Website farnblueten.de.
Das folgende Interview wurde am 3. August 2014 mit ihr geführt.
Wie hast du zu Reclaiming gefunden? Wie sah dein vorheriger spiritueller Weg aus?
Ich habe als Jugendliche angefangen alles zu lesen, was irgendwie mit Hexen und Feen zu tun hatte – was damals nicht viel war, hauptsächlich Märchen und ethnologische Sachen aus der Bibliothek; der örtliche Satanist führte den Esoterikladen und hatte damals hauptsächlich Crowley u.ä. im Programm, die klassische westliche Magie… und die deutsche Erstausgabe vom Spiral Dance, die ich mit 16 erstanden und unter einem Stuhlpolster in meinem Zimmer versteckt habe, damit sie nicht den Weg aller okkulter Literatur in unserem Haus ginge, die meiner hellsichtigen Hexe von Mutter in die Finger fiel (geradewegs in den Müll, ein offenes Feuer hatten wir ja nicht). Ich trauere immer noch dem Pendelbuch eines Gregorius nach… und Margaret Murrays Witchcraft Today konnte ich auch nicht retten. Bemerkenswert eigentlich, dass sie damals die Bücher alle gefunden hat, die Zigaretten und den Spiral Dance aber nie – und beides klebt immer noch an mir. Also ich bin sozusagen selfmade. Was, im Nachhinein, ziemlich gut war, weil ich mit den Büchern von Starhawk und später Budapest doch recht viel anfangen konnte und das, was fehlte, eben selber entdeckt habe.
Nachdem ich einfach keine Hexen fand entschloss ich mich, zugänglichere Traditionen zu erkunden und war ein paar Jahre bei den Rosenkreuzern (Lectorium, nicht Amorc), was ich sehr lehrreich fand und was mich doch ziemlich immunisiert hat. Dann fraßen Ausbildung und Beruf/Ausbeutung mich ein paar Jahre auf und nachdem ich mich davon befreit hatte, fand mich zufällig eine Reikilehrerin, die ziemlich fit in christlicher Magie war und da blieb ich dann. Bis ich schließlich, ich weiß nicht wo, vom Feencamp erfahren habe und da bei einer seltsamen, aber sehr netten Frau namens Belinda Baake anrief. Leider war das Hollecamp noch nicht erschwinglich für mich und ich musste ein paar Jahre auf mein erstes Camp warten, wo ich dann endlich die Hexen fand die ich gesucht hatte, die aber komischerweise ganz anders waren, als ich sie mir aus dem Spiral Dance vorgestellt hatte. Ich habe natürlich auf meinen Instinkt gehört und gleich den Innenpfad mit der mir unbekannten Lehrerin gewählt, die aber „eindeutig was mit Feen zu tun“ hatte (ich gestehe hiermit öffentlich: Ich habe nie einen „Elemente der Magie -Kurs“ besucht, bevor ich selber einen als Student gelehrt habe).
Was bedeutet Reclaiming für dich? Was hat dich am meisten daran angezogen? Warum bist du dabei geblieben?
Da weiß ich ja gar nicht, wo ich anfangen soll! Ich bin eigentlich gar nicht gruppentauglich! Ich habe einen ziemlich eigenen Kopf… und bei Reclaiming kann ich den auch haben. Was mich angezogen hat war erstmal, dass ich von Anfang an das Gefühl vermittelt bekommen habe, dass es tatsächlich wichtig ist, was ich selber denke, fühle, wahrnehme etc., also das, was wir Selbstermächtigung und Selbstverantwortung nennen. Dass es keine formale Hierarchie gibt, sondern stattdessen Funktionen, die für alle offen sind, die Lust dazu haben und die Fähigkeit, die Funktion auszufüllen – vom Organisieren von Witchcamps oder dem Lehren bis zum Räuchern im Ritual, nichts davon ist mit Macht-Über-Andere verbunden. Als Anarchistin ist mir das sehr wichtig. Und natürlich funktioniert die Magie, d.h. sie bringt mich mindestens in Kontakt mit der lebendigen heiligen Quelle in mir und im Universum, was für eine ausgesprochene Hexentradition wohl entscheidend ist.
Wichtig ist mir auch, dass wir keine in Stein gehauene Mythologie und Pantheon haben (wie etwa Asatru oder Wicca), sondern eher das Grundgerüst anbieten, um mit jeder Form des Göttlichen zu arbeiten. Und dabei geblieben bin ich auch aus persönlichen Gründen, wegen der Freundschaften. Was an Reclaiming auch so einzigartig ist, ist die Vielfalt an Techniken einerseits und die Tiefe, in die man damit kommt, andererseits. Allein die Pentagramme hätte ich echt nicht missen wollen …
Welche Rolle spielt die Spiritualität in deinem täglichen Leben? Wie verbindest du Reclaiming mit deinem Alltag?
Ich sehe meinen Alltag und meine Spiritualität nicht als getrennte Bereiche. Insofern würde ich die Frage umformulieren in „Wieweit beeinflusst Reclaiming deinen Alltag?“
Ich habe festgestellt, dass die jahrelange Anwendung der Techniken wie Erdung, Pentagramme, Übung des Nicht-Aggressionsprinzips, Arbeit mit den Elementen, 3 Selbsten etc., also die Prinzipien und Techniken und was sich daraus entwickelt hat für mich, mich einfach radikal befreit und transformiert hat. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Gestaltung meines Alltags, so habe ich z.B. meinen Beruf gewechselt und verdiene mein Brot jetzt hauptsächlich mit „Energiearbeit“. Und wie ein Stein, der ins Wasser fällt, wirke ich auf meine Umgebung und die Lebewesen um mich herum – manchmal auch sehr verstörend. Ich werde oft nicht verstanden oder als Provokation verstanden, wenn ich anscheinend Probleme anderer Menschen mit Selbstverantwortung, Freiheit, Selbstermächtigung triggere. Ich habe seit Jahren eine tägliche Praxis, in der reclaiming-spezifische Techniken (auch) eine Rolle spielen.
Welchen Platz hast du in der Reclaiming Gemeinschaft? Wie hast du ihn gefunden bzw. bist hineingewachsen?
Im Moment ist mir nicht ganz klar, wie ich die Frage beantworten soll 😉 Ich bin ja momentan nicht Teil einer spezifischen Gruppe. Ich war jahrelang Orga für das Phönixcamp, danach dann noch kurz für das Löwenzahntreffen und das waren meine Bezugsgruppen innerhalb von Reclaiming, momentan fühle ich mich eher als Teil eines sehr losen Netzwerkes von Menschen mit einigen gemeinsamen Werten und Techniken. Ich organisiere die Spiraltanz Yahoogruppe, in der nicht viel los ist und das Forum, das wir ja gerade erst aufbauen und hoffe, dass das wieder ein guter Platz wird für mich. An sich würde ich gerne unterrichten oder wieder organisieren, ich sehe aber nicht, wie ich in die Reclaiming-Lehrer-Struktur reinpassen soll, da ich einfach zeitlich, örtlich und finanziell gebundener bin als früher.
Ach so, wie ich dahin gekommen bin: Ich habe mich auf meinem ersten Camp gemeldet, als Freiwillige gesucht wurden für die damals erscheinende „Nach-Camp-Zeitung“ und habe die erstellt (damals noch als Skript verschickt), beim zweiten Camp wurde ich dann angesprochen, ob ich nicht in die Orgagruppe für ein neues Camp kommen will; ich wollte.
Ich wollte dann auch dringend gerne in ein tieferes Training einsteigen und habe das mit Thorn Coyle gemacht, was dann nach ein paar Jahren und den daraus sich ergebenen engen persönlichen Beziehungen zu meiner Reclaiming Ini führte. Ich denke, so ist das eigentlich bei uns ganz normal – man ist Teilnehmer, engagiert sich, engagiert sich beständig weiter und daraus ergibt sich dann alles Weitere 😉
Was sind deine Wünsche und Träume in Hinblick auf Reclaiming für die Zukunft?
Für das Reclaiming der Zukunft wünsche ich mir mehr und breitere Diskussionen über die Prinzipien und ihre Bedeutung für Theologie, Philosophie, Umgang im Alltag, Politik und verschiedene Gruppen, Erziehung, …
Ich glaube, Reclaiming ist eher so etwas wie eine Grundhaltung und was daraus folgt an Projekten und Zielen ist ja von den einzelnen Menschen abhängig und nichts, was ich für alle wünschen könnte.
Persönlich wünsche ich mir mehr Austausch, auch über praktische Themen der Magie und durchaus über die Kernkurse hinausgehend. Deshalb ja das Forum. Und ich wünsche mir mehr freiheitsliebende Hexen, die bereit sind in die Tiefe zu steigen und in den Himmel zu fliegen und die dazu auch gerne lernen und Gelerntes teilen.