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Die Antwort einer Heidin auf Katrina

die antwort einer heidin auf katrina
von starhawk / übersetzung: brigitte hummel

wie reagieren wir als heidinnen und heiden, die die natur verehren, auf ein ereignis wie den hurrikan katrina, eine der zerstörerischsten naturkatastrophen in dergeschichte der vereinigten staaten? was bedeutet es etwas zu „verehren“, das in einem atemzug eine großstadt auslöschen kann? sehen wir dieses ereignis als strafe oder als vergeltung für eine sündentat der heiden an? als musterbeispiel für die realität von klimawandel und globaler erwärmung? als eine überhitzte göttin, die ein paar von den ölplattformen hinwegfegt, die zu ihrem fieber beitragen?

natürlich kann niemand für alle heiden sprechen. es gibt keinen allgemeinen rat heidnischer thealogie, der ein offizielles dogma verkünden könnte. hier kommt meine ganz persönliche antwort als priesterin, lehrerin, schriftstellerin, aktivistin und thealogin.

heidnische religionen sind keine systeme der bestrafung. wir verehren keine götter der vergeltung, sondern eine göttin – oder göttinnen und götter – des mysteriums, und zwar in ihren unterschiedlichen aspekten. die göttin besitzt eine ungeheure kraft, kreative und destruktive: die kraft, die einen trieb aus einem winzigen samenkorn bis hinauf in den himmel wachsen lässt, die kraft der erdbeben und der vulkane, des regens, der die saat nährt und die des hurrikans. wir reagieren auf diese kraft mit ehrfurcht, erstaunen, verwunderung und dankbarkeit, nicht aber mit furcht.

die großen kräfte der natur besitzen eine intelligenz und ein bewusstsein, wenn sich diese auch in größe und art von dem uns gegebenen unterscheiden. alles in der natur lebt und spricht, alle kommunizieren sie miteinander: die komplexe, kristalline intelligenz des steinernen kerns unseres planeten, die pilzfäden, die die wurzeln der bäume mit den nervenbahnen der wälder verbinden, die zwitschernden vögel und die biochemischen prozesse, die in pflanzen und pilzen ablaufen. unsere spirituelle praxis, die praxis der magie, ist dazu da unsere augen, ohren und herzen zu öffnen, dass sie hören, verstehen und antworten können. und diese kräfte wollen, dass auch wir mit ihnen ins gespräch kommen. die göttin ist nicht allmächtig, ihre kreativität und die der menschen gehören zusammen. Sie bedarf der menschlichen hilfe, um fruchtbarkeit und erneuerung zu schaffen. die elemente, die vorfahren, die geistwesen, von denen wir umgeben sind, wollen mit uns zusammenarbeiten, um die erde zu schützen und zu heilen, aber dazu benötigen sie unseren anstoß.

natur bedeutet auch menschliche natur. unsere menschliche intelligenz, unsere fähigkeit genau zu analysieren, zu denken, schlüsse zu ziehen und zu handeln, unsere ästhetisch/emotionale fähigkeit uns über einen schönen sonnenuntergang zu freuen, unsere enge verbundenheit mit den menschen, die wir lieben und unsere empathie und unser mitleiden mit anderen sind alles aspekte der göttin. sie hat uns komplizierte, widersprüchliche, super gescheite wesen genau zu dem zweck geschaffen, dass wir unsere erfahrungen machen mit einigen dieser aspekte. oder einfacher ausgedrückt: sie hat uns mit hirn ausgestattet und erwartet, dass wir es gebrauchen.

als hexe und priesterin der göttin nehme ich mir täglich zeit zu meditieren und zu horchen, idealer weise an einem ort, an dem ich direkten kontakt zur natur habe. dieser ort ist nur noch ganz selten ein altar im haus, ich sitze lieber im wald oder wenigstens in meinem garten, lasse meine gedanken ruhig werden, öffne meine augen, schaue und horche, und was ich und alle anderen, die, wie ich weiß, in einklang mit der natur sind, in letzter zeit gehört haben, sind kummer, schmerz, tiefe wut und unheilvolle warnungen. die prozesse der umweltzerstörung, im besonderen die der erwärmung des klimas auf der erde, haben schon begonnen. als wir uns vor ein paar wochen auf das „free activist witch camp“ vorbereitet haben, das reclaiming, unser hexen-netzwerk, im südlichen oregon abhielt, habe ich gefragt: „gibt es irgendeinen weg tod und zerstörung abzuwenden?“ die einstimmige Antwort war „nein“.

„der prozess ist schon zu weit fortgeschritten“, so die antwort. ein bild vom wildwasserfahren tauchte in mir auf. es hat einen punkt gegeben, an dem wir als eine der arten einen anderen fluss oder ein anderes boot oder einen anderen kanal hätten wählen können. jetzt aber befinden wir uns auf einer rutschbahn. wir können nicht umkehren. wir können auch nicht anhalten.

beim wildwasserfahren gibt es einen befehl für extreme situationen : „paddle oder stirb.“ wenn du paddelst, hast du etwas kraft, nicht genug, um die richtung des fließenden wassers zu ändern, aber doch genug, um einen kurs zu steuern und nicht gegen felsen zu prallen. wenn du aufgibst, wird der fluss aller wahrscheinlichkeit nach dein boot zum kentern bringen und du wirst ertrinken.

als wir aus dem wald herauskamen, lasen wir eine auf der rückseite einer zeitung versteckte, von den medien nur wenig beachtete nachricht, dass in großen teilen der sibirischen tundra eis und schnee wegschmelzen. wenn wir auch nur ein minimum der uns gegebenen intelligenz gebrauchen würden, dann hätte diese nachricht auf der ersten seite stehen müssen und die gleiche dringlichkeit bekommen müssen wie ein angriff von terroristen, denn sie beinhaltet etwas viel gefährlicheres.

globale erwärmung steigert die wucht von stürmen. mehr hitze unter einem topf mit wasser lässt die blasen größer, bewegter und stärker werden. hurrikane beziehen ihre energie aus der wärme des meerwassers. der golf von mexiko ist ungewöhnlich warm. hurrikane sind in den letzten fünfzehn jahren im durchschnitt doppelt so stark gewesen wie zuvor. der hurrikan katrina war in der tat ein naturphänomen, aber sein wandel, über dem golf, von einem hurrikan der zweiten kategorie zu einem der fünften war ein von menschen gemachtes phänomen, eine folge unserer entscheidungen, unserer unfähigkeit einen anderen kurs zu steuern.

die formen und namen, die wir göttinnen und göttern und anderen mächten geben, helfen dabei diese mächte für unsere menschlichen vorstellungen verständlich zu machen. so haben zum beispiel die in west afrika beheimateten yoruba dem wirbelwind, dem hurrikan, den starken mächten plötzlicher veränderung und zerstörung den namen „oya“ gegeben. santeria, candomble, lucumi, voudoun, sie alle beinhalten oya in irgendeiner form als „orisha“, als große macht. Ihr werden opfer dargebracht, zeremonien finden für sie statt, priesterinnen tanzen sich in einen trancezustand, sodass oya über sie mit den anwesenden menschen sprechen kann.

in keiner US-amerikanischen stadt gibt es mehr praktizierende dieser tradition als in new orleans. in der nacht, in der der hurrikan auf dem festland erwartet wurde, habe ich mit einer kleinen gruppe von freunden ein ritual veranstaltet, um die anstrengungen von oya-priesterinnen überall im land zu unterstützen. wir waren in crawford, texas, im camp casey, wo die „gold star-mutter“ cindy sheehan, deren sohn im irak ums leben gekommen ist, in der nähe der ranch von bush kampierte, um ihn mit der schmerzlichen realität der todesfälle zu konfrontieren, die seine politik zu verantworten hat. bei uns waren viele menschen aus new orleans, in sorge um ihre häuser, ihre freunde und familien. die vorherrschende kultur im camp war christlich geprägt, wir sahen uns also nicht in der lage ein heidnisches ritual in aller öffentlichkeit zu zelebrieren, obwohl ein paar der anwesenden mich heimlich wissen ließen, dass sie „zu uns gehören“. unsere kleine gruppe versammelte sich am rande der straße, formte einen kreis, sang chants und betete.

wir beteten ganz persönlich, so wie es menschen eben tun : „mama, wir wissen, dass wir fehler gemacht haben. aber wenn es irgendeinen weg gibt tod und zerstörung zu lindern, dann mach das bitte.“ in dieser nacht beteten auch christinnen und christen und orishapPriesterinnen „sprachen“ mit oya, und der hurrikan änderte seinen kurs ein wenig und seine stärke nahm ab, er wurde ein hurrikan der vierten kategorie. und new orleans überlebte. nicht ohne verluste und ohne tote, aber ohne die fürchterliche flut und zerstörung, die befürchtet worden waren. wir alle atmeten erleichtert auf.

einen tag später brachen die dämme und die flut kam. sie brachen nicht durch einen akt der göttin, sondern durch einen mangel an mitteln. die bush administration hat die geldmittel für flutkontrolle und für die reparatur und die verstärkung der dämme systematisch zusammengestrichen. das geld floss in deniIrak. große teile der nationalgarde von louisiana waren auch im irak. FEMA, das amt, das verantwortlich ist für die hilfe bei naturkatastrophen, wurde verschlankt, seine mittel wurden gekürzt, es wurde einbezogen in den Kampf gegen den Terrorismus. Der Direktor ist ein Spezi von Bush und hat keine ahnung von katastrophen-management.

jetzt, wochen später, steht new orleans noch immer unter kriegsrecht. offizielle hilfsmaßnahmen waren stümperhaft bis brutal, und der mangel an planung und sorge um das leben von menschen speist sich aus vorurteilen und rassismus, der das leben der armen für weniger wert achtet, besonders wenn sie schwarze sind.

menschen aller glaubensrichtungen haben mit fürsorge und mitgefühl auf diese katastrophe reagiert, mit spenden und hilfsprogrammen und mit entsetzen und wut auf eine regierung, die die werte menschlichen anstands und die achtung von leben, die sie zu vertreten vorgibt, in keiner weise verkörpert.

die göttin bestraft uns nicht, aber sie schützt uns auch nicht vor den logischen konsequenzen unserer handlungen. die zerstörungskraft von katrina war eine folge unseres natur verachtenden kurses. ein indianisches sprichwort sagt: „wenn wir nicht unsere richtung ändern, werden wir an dem einmal gewählten ziel ankommen.“ katrina gibt uns einen kleinen einblick in die fürchterlichen zustände, die uns erwarten.

sie zeigt uns aber auch hoffnung. wir können uns ändern. und wenn uns die notwendigkeit dazu wirklich klar wird, können wir es vielleicht auch, bevor es zu spät ist. die demonstrationen von füsorge und hilfsbereitschaft, die hoffnung, die entschlossenheit und vision einiger bürger von new orleans, die in der Ssadt geblieben sind, die trauer um die toten und die verluste und das mitleid, das eine große tragödie hervorruft, sind die werkzeuge, die wir brauchen, um einen anderen kurs einzuschlagen. da werden wir dann die natur und menschliches leben achten, wir werden unsere intelligenz dazu gebrauchen die natürliche welt wieder herzustellen und zu erneuern und unser mitgefühl und unser leidenschaftliches interesse für gerechtigkeit werden erwachen. wenn wir einen neuen kurs einschlagen, werden alle kräfte des lebens, des wachsens und der erneuerung mit uns sein. und wenn wir uns mit diesen kräften verbünden, können wunder geschehen.

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