Der Junge, der den Soldaten küsste: Das Balata Lager
All das wird zerschlagen durch Hanins Lachen, in Frage gestellt durch einen kleinen Jungen, der sich im Schlaf windet und dreht. Ich liege da in Achtung des Vertrauens, das mir geschenkt wurde, eine Feindin, zu Bett gebracht, um bei den Kindern zu schlafen. Es erscheint mir im Moment, dass es in der Tat Kräfte gibt, die mächtiger sind als die Gewehre, die ich um mich herum höre: die Macht von Hanins Vertrauen, die Macht, die Zuflucht gewährt, die große Welle mitfühlender Macht, die Vorurteile und Hass überwindet.
In der nächsten Nacht gehen wir bei Einbruch der Dunkelheit wieder zurück zu unserer Familie, zusammen mit Linda und Neta, zwei weiteren Freiwilligen. Wir sind knapp einer Gruppe von Soldaten entkommen, doch kaum sind wir angekommen, als ein Trupp, die Tür erreicht. Wenigstens sind sie zur Tür gekommen: wir sind dankbar dafür, weil sie den ganzen Tag lang durch Wände gebrochen sind indem sie den Beton mit Vorschlaghämmern zerschlagen haben, in die Räume gestürmt sind um sie zu durchsuchen oder schlimmer noch, das Haus als Durchgang zu benutzen, als einen sicheren Weg, der ihnen ermöglicht, sich durch das Lager zu bewegen ohne sich in die Strassen hinaus wagen zu müssen. Wir sind in Häusern gewesen, die zu surrealen Korridoren gemacht worden waren, Richtungshinweise an ihre Wände gesprüht. Sie boten keinerlei Zuflucht mehr, weil die Soldaten die ganze Nacht über hin und her liefen.
Wir kommen heraus um diese Soldaten zu treffen, um mit ihnen zu reden und mitzubekommen was sie tun werden. Einer der Männer, mit einer eulenartigen Brille kennt Jessica und melissa: sie hatten ein langes Gespräch mit ihm neben seinem Panzer. Er fühlt nicht wohl in seiner Rolle.
Ahmed, der kleine Junge, fürchtet sich sehr vor den Soldaten. Er weint und schreit und zeigt auf sie und wir versuchen ihn zu trösten, ihn in einen anderen Raum zu bringen. Aber er will nicht gehen. Er ist verängstigt, doch er kann es nicht ertragen nicht in ihrer Nähe zu sein. Er rennt auf sie zu und weint. „Nehmt Eure Helme ab,“ sagt Jessica zu den Soldaten „gebt ihm die Hand, zeigt ihm, dass ihr Menschen seid. Helft ihm seine Angst zu verlieren.“ Der eulenhafte Soldat nimmt seinen Helm ab und streckt seine Hand aus. Ahmeds Schluchzen klingt ab. Die Soldaten marschieren hinaus um das obere Stockwerk zu durchsuchen. Samar und Ahmed folgen ihnen. Samar halt den kleinen Jungen auf Höhe des eulenartigen Gesichtes des Soldaten, sagt ihm, das er den Soldaten küssen soll. Sie möchte nicht, dass er Angst hat oder hasst. Der kleine Junge küsst den Soldaten und der Soldat küsst ihn ebenfalls und reicht ihm eine kleine palästinensische Fahne.
Dies ist der Moment die Geschichte zu beenden, im Tonfall der Hoffnung um sie eine Geschichte darüber sein zu lassen wie einfache menschliche Wärme, der Kuss eines Kindes, für einen Augenblick Unterdrückung und Hass überwinden. Aber es ist bezeichnend für den unbarmherzigen Charaktere dieser Besetzung, dass die Geschichte nicht hier endet.
Die Soldaten befehlen uns, alle in einen Raum zu gehen. Sie schließen die Tür und fangen an das Haus zu durchsuchen. Wir können Splittern und Dröhnen und lautes Schlagen gegen Wände hören. Ich versuche an irgendetwas zu denken, was ich singen oder tun könnte um uns abzulenken, um die Kinder bei Laune zu halten. Ich kann an nichts denken, das Sinn macht. Meine Stimme versagt. Aber Neta lehrt uns ein einfaches Kinderlied in Arabisch Für mich hört es sich an wie:
“Babouli raizh, raizh, babouli jai,
Babouli ham melo sucar o shai,”
Der Zug kommt, der Zug geht,
der Zug ist beladen mit Zucker und Tee“
Die Kinder sind froh und fangen an zu singen. Hanin und ich trommeln auf den Tischen. Die Soldaten werfen in den anderen Räumen Sachen herum und die Kinder singen und Ahmed beginnt zu tanzen. Wir stellen ihn auf den Tisch und er lächelt, schwingt seine Hüften und bringt uns alle zum Lachen.
Als die Soldaten endlich gehen, kommen wir heraus um den Schaden zu begutachten. Jedes einzelne Teil war von den Wänden gerissen, aus den Wandschränken und im Flur auf große Haufen geworfen. Die Sofas waren umgeworfen, ihre Böden aufgerissen. Viele Löcher sind in jede Fuge und Nische der hölzernen Wandverkleidung geschlagen, Getreidesäcke in den Spülstein entleert, Glas- und Porzellanscherben bedecken den Fußboden.
Wir fangen an sauber zu machen. Melissa kehrt: Jessica versucht die barfüssigen Kinder zurückzuhalten bis wir das Glas vom Boden gefegt haben. Ich helfe Hanin einen Weg im Schlafzimmer frei zu machen. Wir falten die Kleidung ihres abwesenden Ehemanns, hängen ihre eigenen Sachen auf, finden die geheimen Dessous, die die Soldaten offensichtlich begutachtet haben. Als wir fertig sind kenne ich jeden, noch so persönlichen Gegenstand in ihrem Leben.
Wir sind ein Haus voller Frauen: wir wissen wie man saubermacht und Ordnung schafft. Als das Haus wieder aufgeräumt ist, kochen Hanin, Samar und die Schwester. Die Großmutter hat einen Anfall von Bluthochdruck. Wir legen sie auf das Sofa, ich bringe ihr ein Kissen. Sie ruht aus. Ich setze mich, völlig erschöpft, während Hanin und die Frauen uns das Essen servieren. Einige Porzellanvögel sind wieder auf dem Sims, die künstlichen Blumen wieder da, einige der aus der Täfelung herausgerissenen Bretter sind wieder an ihrem Platz. Irgendwie fühlt sich das Haus wieder wie eine Zufluchtsstätte an.