Der Junge, der den Soldaten küsste: Das Balata Lager
Von Starhawk / Übersetzung: Christel und Brigitte (Kalia e.V.)
„Welchen Quellen kannst Du glauben wenn Du dort Frieden schaffen willst?“ schreibt eine Freundin als ich von Palästina zurückkomme. Ich habe keine Antwort, nur diese Geschichte:
1. Juni 2002: Ich bin im Balata Flüchtlingslager im besetzten Palästina, wo die israelischen Verteidigungskräfte viertausend Männer zusammen getrieben und das Lager Frauen und Kindern überlassen haben. Die Männer hatten keinen Widerstand geboten, nicht gekämpft. Das Lager ist totenstill. Alle Läden sind geschlossen, die Fenster zu. Frauen, Kinder und einige alte Männer haben sich in ihren Häusern versteckt.
Die Stille wird durch gelegentliche Ausbrüche von Gewehrfeuer, Knallen oder Explosionen gestört. Den ganzen Tag sind wir Soldaten begegnet, die alle aussehen wie mein Bruder oder Vettern oder wie Söhne, die ich nie gehabt habe, so jung, dass sie kaum mehr erscheinen als Jungen, bewaffnet mit großen Gewehren. Wir sind bei den erschreckten Bewohnern geblieben, als die Soldaten ihre Häuser durchsucht haben, wir haben Patienten, die Angst haben alleine auf den Strassen zu sein, zum UNO-Krankenhaus gebracht. Am frühen Abend wurden acht unserer Freunde festgenommen und wir wissen, dass auch wir jeden Moment gefangen genommen werden können.
Es ist fast dunkel als Jessica, Melissa und ich uns nach einem Platz umschauen wo wir die Nacht verbringen können. Jessica könnte mit ihrem schmalen blassen Gesicht, ihren dunklen Augen und ihren lockigen schwarzen Haaren meine Schwester oder Tochter sein. Melissa ist ein bisschen mehr Punk, androgyn mit ihrem blond gefärbten Pferdeschwanz.
Wir eilen beunruhigt durch die Strassen. Wir müssen im Haus sein bevor es richtig dunkel wird und die Ausgangssperre beginnt. „Geht in irgendein Haus“ wurde uns gesagt. „JedeR wird froh sein Euch aufzunehmen“. Aber wir fühlen uns etwas schüchtern.
Von einer schmalen, metallenen Treppe aus, winkt uns Samar zu, eine junge Frau mit einem breiten, schönen Lächeln. „Willkommen, willkommen!“ Wir erhalten Zuflucht in den drei kleinen Räumen des Hauses, die ihrer Familie als Behausung dient: ihre Mutter, mit starkem Körper und traurig, ihre kleinen Nichten und Neffen, die Frau ihres Bruders Hanin, mit rundem, blassen Gesicht und im sechsten Monat schwanger.
Wir setzen uns auf große üppige Sofas. Die Frauen servieren uns Tee. Ich schau mich um, sehe die Wandverkleidung aus Kiefernholz die den Betonboden weich und warm erscheinen lässt , die Porzellanvögel und künstliche Blumen, die ein Sims schmücken. Die Decken sind liebevoll mit einfachen geometrischen Formen bemalt. Sie haben Liebe und Sorgfalt in ihr Haus gegeben und es fühlt sich wie eine Zuflucht an.
Draußen können wir gelegentlich Schiessen hören, das tiefe „Boom“ wenn Häuser von den Soldaten gesprengt werden, aber hier in diesen Räumen sind wir so sicher, wie wir an diesem Ort überhaupt sein können. „Inshallah“, „Gottes Wille“, folgt jeder positiven Aussage oder jeder Bereitschaft zu einem Plan.
“Yahoud!” sagen die Frauen wenn wir Explosionen hören. Es ist das arabische Wort für Jude, das Wort, das für die Soldaten der eindringenden Armee benutzt wird. Es ist ein Wort der Warnung und des Alarms: geh nicht diese Gasse hinunter, nicht in diese Strasse. “Yahoud!”